Militärputsch in der Türkei – Einige Gedanken

Die Nacht von den 15.7.2016 auf den 16.7.2016 wird in die Geschichte Europas eingehen, als der Tag, an dem ein Militärputsch gegen Erdogan gescheitert ist. Nur einen Tag nach dem die Welt den Atem anhielt, als in Nizza ein LKW in Menschenmassen gelenkt wurde und mehr als 80 Menschen in den Tod riss, versuchten Kräfte innerhalb der türkischen Armee, die Herrschaft des Sultans vom Bosporus zu beenden.

Sah es anfangs noch so aus, als würde der Militärputsch gelingen, drehte sich die Situation in den frühen Morgenstunden und inzwischen (wir haben, jetzt, da ich dies schreibe, ca. 17.00 Uhr am 16.7.2016) kann, nein, muss man davon ausgehen, dass der Militärputsch gescheitert ist.

Die ganze Operation Militärputsch scheint, von außen und im Nachhinein betrachtet, sehr dilettantisch von Statten gegangen zu sein.

Putin_Erdogan_Berlusconi

Nun gut, gesetzt den Fall, der Militärputsch ist tatsächlich gescheitert, so stellen sich mir einige Fragen:

Wem nutzt der Militärputsch?

So, wie die Geschichte ausgegangen ist, nutzt der Militärputsch genau einer Person: Recep Erdogan persönlich! Das Militär in der Türkei ist traditionell ein Anhänger von Kemal Atatürk, der die heutige, moderne Türkei gründete und prägte. Diese moderne Türkei steht aber diametral zu der Türkei, die ein Erdogan sich wünscht. Dieser Militärputsch gibt ihm nun vermutlich den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung, weitere Maßnahmen einzuleiten, die seinen gewünschten präsidialen Staat ermöglichen. Erdogan wird seine politischen Gegner aus dem Militär entfernen lassen, die Überwachungsmaßnahmen steigern und so wieder ein Stück mehr Macht in seine Hände bekommen.

Was war am Militärputsch merkwürdig?

Der Militärputsch war, das kann man nun, zumindest von außen her, sagen, eher dilettantisch (wie schon oben angemerkt). Das türkische Militär ist aber keine Armee von Dilettanten. Im Gegenteil, die Führungsebene des türkischen Militärapparates gilt generell als gut organisiert und effektiv. Wie konnte es dann zu solchen Fehlleistungen wie den ineffektiven Sperrungen der Brücken über den Bosporus und der stümperhaften Übernahme der TV- und Radiosender kommen?

Wieso konnte überhaupt ein Militärputsch geplant werden?

Die Türkei ist ein Land, das vom Terror gebeutelt ist. Sowohl Daesh / IS als auch kurdische Freiheitskämpfer üben Angriffe auf das Innere der Türkei aus. Wobei ich, ganz klar, den berechtigten Freiheitskampf der Kurden keinesfalls auf eine Stufe mit dem IS stellen will!
Wenn ein Anschlag in der Türkei stattgefunden hat, dann war immer schnell, sehr schnell klar, wer dahintersteckte. Während westliche Geheimdienste ihre Ergebnisse erst Tage, mitunter Wochen später ermittelt haben, war es in der Türkei nur eine Frage von Stunden. Von wenigen Stunden, wohlgemerkt!

Nun könnte man sagen: Wow! Die Türken haben aber einen sehr effektiven Geheimdienst! Oder man könnte auch sagen: Der türkische Geheimdienst findet den Schuldigen genau da, wo es Erdogan gerade in den Kram passt. Beide Annahmen sind durchaus legitim. Ich neige allerdings zur Zweiten. Gestern Nacht wurde auch deutlich, warum dies die realistischere Annahme ist!

Ein Militärputsch ist kein Ereignis, das im luftleeren Raum geplant und vorbereitet wird. Da sind sehr viele Menschen involviert. Anzunehmen, dass dies unter den Augen eines angeblich so effektiven Geheimdienstes wie den der Türkei passieren kann, ist blauäugig.

Welche Schlüsse lassen sich aus dem Militärputsch nun ziehen?

Meiner Meinung nach (und einige Nahost & Türkei Experten sehen dies ähnlich) besteht eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit, dass dieser Militärputsch, wenn schon nicht von Erdogan geplant, so doch nicht von ihm verhindert wurde. Wenn dieser Militärputsch real war, dann ist davon auszugehen, dass Erdogan davon wusste. Er rechnete ja schon lange mit einem Militärputsch gegen ihn. Dass dieser nun stattgefunden hat und zurückgeschlagen wurde, stärkt Erdogan massiv. Daher ist der Gedanke, dass der Putsch hausgemacht war, nicht von der Hand zu weisen!

Was passiert nun nach dem Militärputsch?

Erdogan wird mit harter Hand durchgreifen. Markige Sprüche ist man von ihm ja bereits gewohnt. Diesen werden nun Taten folgen. Das Militär soll gesäubert werden. Was darunter zu verstehen ist, liegt auf der Hand: Alle Offiziere, die nicht auf Erdoganlinie sind, werden entfernt. Angeblich wurden bereits knapp 3000 Richter entlassen (wer kennt sie nicht, die kämpfenden Richter vom Bosporus?), darunter auch 10 Mitglieder des Staatsrates in Ankara. Diesen wird Unterstützung des Militärputschs vorgeworfen. Es ist zu erwarten, dass diese nun durch Erdogananhänger ersetzt werden.

Ein grandioser Schachzug! Erdogan wird den Militärputsch nutzen, um sich Kritik aus dem Ausland zu verbieten. Eine Lockerung der Anti-Terrorgesetze scheint nun offensichtlich nicht mehr wirklich verhandelbar. Umso wichtiger wird es sein, dass die EU-Politiker nicht klein beingeben, gerade in diesem Punkt.

Seine Macht im Staat wird anwachsen. Sein Einfluss, sowohl beim Militär, als auch bei der Justiz wird steigen. Das Volk wird den starken Mann natürlich unterstützen, da bestehen leider kaum Zweifel.

Man darf gespannt sein, wie viele Journalisten sich nun dem Vorwurf ausgesetzt sehen werden, den Militärputsch unterstützt zu haben.

Eingedenk der Tatsache, dass wir hier von einem NATO-Partner und einer Schlüsselfigur der Flüchtlingskrise in Europa reden, darf einem schon angst und bange werden. Wie müssen sich dann erst diejenigen fühlen, die direkt betroffen sind, wie z.B. die Kurden?

Wird er den Militärputsch politisch ausschlachten?

Apropos effektiver Geheimdienst: Natürlich steht schon fest, dass der Militärputsch selbstverständlich von der Gülen-Bewegung ausging. Das klingt vollkommen logisch, dass der Militärputsch von einem religiösen Führer organisiert wird. Wir erinnern uns: Das Militär ist in der kemalischen Tradition der Trennung zwischen Staat und Glaube verhaftet! Vermutlich werden wir in Kürze noch erfahren, das auch IS und die HDP (politischer Arm der Kurden in der Türkei) an diesem Militärputsch beteiligt waren.

Ich sehe schlimme Zeiten auf uns zukommen …


6 Responses to Militärputsch in der Türkei – Einige Gedanken

  1. Avatar Anton Meier
    Anton Meier says:

    Die aktuellen Entwicklungen und Zusammenhänge hast Du gut erfasst und dargestellt. Dein letzter Satz hingegen kann natürlich abgemildert werden, wenn die EU endlich mal der Türkei klar macht, dass sie NIEMALSNIENICHT in den EU-Club kommt. Mehr religiöse Leute -mit der leider total falschen Religion und damit verbundener Weltanschauungsauffassung, brauchen wir hierzulande nicht wirklich. Mit der weiteren Öffnung oder Osterweiterung kommt nur noch mehr Gründe für unnötige Unruhe(n) ins Land, bis irgendwann mal der Point of no return erreicht ist. Und dann: Gute Nacht.

  2. Avatar Tequila
    Tequila says:

    Da ich JEDE Religion für die falsche Religion halte, gebe ich dir zwar Recht, aber dennoch scheinen unsere Standpunkte sich im Detail zu unterscheiden.

  3. Volle Zustimmung, lieber Ralf, in allen Belangen!

  4. Bist du jetzt auch unter die Verschwörungstheoretiker gegangen? Neben viel legitimer Kritik ist da auch auch ne Menge (aktuell zumindest) haltloses Blabla drin.

  5. Avatar Tequila
    Tequila says:

    Kannst Du konkretisieren, welcher Teil meines Beitrages „haltloses Blabla“ ist?

    Auchnach nochmaligen Durchlesen finde ich da eigentlich nichts, was vollkommen unwahrscheinlich ist.

    Ich hoffe jedenfalls, das ich nochnicht zum Starautor des Kopp-Verlages hier aufsteige *g*

    • Die Herleitung über den sehr fähigen oder doch nicht so fähigen Geheimdienst, dass der Putsch unter Erdogans Billigung passiert ist, ist haltlos. Das kannste als lustige Theorie verkaufen, aber ohne Anhaltspunkte ist es nicht mehr als das.