Merkel zu Recht unter Beschuss?

Man hätte meinen können, das Ruhe einkehrt. Nun, da die deutsche Regierung (und Mutti Merkel) eine Entscheidung gefällt hat, bezüglich der Casa Böhmermann. Aber nein, mitnichten. Wie die BILD spontan per Umfrage erkannt haben will, sind 2/3 der deutschen Bürger sehr unzufrieden mit der Entscheidung, die Angela Merkel getroffen hat. Das ist super, das sind mündige Bürger, die auch anscheinend genau wissen, wovon sie reden und welche Bedeutung das ganze überhaupt hat.

Ich werde daher mal das tun, was ich am besten kann: Klugscheissen und hoffen, dass einige Leute zumindest verstehen, was ich zu erklären versuche.

Fangen wir mit etwas an, was man schlecht wegdiskutieren kann: Fakten!

  1. Böhmermann hat mit seinem Schmähgedicht unter Umständen geltendes, deutsches Recht verletzt und ist eventuell wegen Beleidigung und wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes zu belangen.
  2. Erdogan hat Anzeige wegen Beleidigung und wegen Beleidigung eines Staatsoberhauptes erstattet
  3. Der §103, der Beleidigung von Staatsoberhäuptern regelt, enthält einen Passus, der (meiner Meinung nach) ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Gesetz enthält: Die Bundesregierung muss einer Verfolgung des §103 zustimmen
  4. Vor dem deutschen Gesetz sind alle gleich, ohne Berücksichtigung von Stand und Ansehen.
  5. In Deutschland herrscht Gewaltenteilung: Legislative, Exekutive und Judikative. Dies ist eins der Merkmale eines Rechtsstaates!

 

Ich denke, auf diese 5 Punkte können sich alle einigen. Einige Punkte sind Diskussionswürdig, sollen aber für diesen Artikel hier als angenommen gelten (Punkt 1 muss halt entschieden werden und bei Punkt 4 kommt bestimmt gleich der erste um die Ecke und raunt mir ein „Hoeness“ ins Ohr)

So weit, so gut.

Kommen wir zu dem in meinen Augen wichtigsten Punkt, der hier sehr gern übersehen wird. Nämlich die Gewaltenteilung. Es ist klar festgelegt, das die Judikative (Die Gerichtbarkeit) unbeeinflusst von der Legislative (eben auf Bundesebene der Bundestag, somit auch die Bundesregierung als vom Bundestag legitimiertes geschäftsführendes Organ) ihre Aufgaben wahrnimmt. Ebenso ist die Exekutive unabhängig von den anderen beiden Organen.

Also hat sich der Bundestag/die Bundesregierung aus den Belangen der Gerichtsbarkeit herauszuhalten. Der Legislative obliegt es, die Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer die Judikative ihre Entscheidungen trifft, sie hat sich aber nicht in den Prozess als solchen einzumischen.

  • 103 verlangt aber genau eine solche Einmischung, die es in einem Rechtsstaat aber nicht geben darf. Die Regierung (nicht Merkel) war also gezwungen, eine Entscheidung pro oder contra Verfolgung nach §103 zuzulassen.

Hier hat man meines Erachtens zur  richtigen Entscheidung, nämlich eine Zulassung der Strafverfolgung nach §103 zu ermöglichen, geführt.

Dies bedeutet gleich mehrere Sachen:

  1. Es passiert genau dass, was auch passiert wäre, wenn diese unglückliche Einflussnahmemöglichkeit nicht im Gesetz gestanden hätte: Ein deutsches Gericht wird entscheiden, ob Böhmermann gegen ein Gesetz der Bundesrepublik Deutschland verstoßen hat und wie er dafür zu bestrafen ist. Die Genehmigung des Verfahrens hat nichts, aber auch rein gar nichts mit einer Vorverurteilung durch Frau Merkel zu tun!
  2. Dadurch wird Erdogan, der in seinem Land schaltet und waltet, wie er will, vor Augen geführt, dass eine Regierung sich auch an (eigene) Gesetze zu halten hat.
  3. Es ist eine Diskussion angestoßen worden, ob §103 überhaupt noch zeitgemäß ist, ob wir den noch benötigen (oder gar je benötigt haben) Auch andere Gesetze kommen im Zuge dessen auf den Prüfstand (z.B. §90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten). Das ist gut, den Gesetze sind auch immer Spiegel ihrer Zeit. Da Zeiten sich ändern, müssen auch Gesetze einer ständigen Änderung unterliegen.

Nun wird diskutiert, ob man §103 nicht ganz schnell abschafft und so vermeidet, das Böhmermann belangt werden kann (Wohlgemerkt, wegen Beleidigung wird er sich eh einem Verfahren aussetzen müssen, es geht nur darum, welcher Paragraph das Strafmaß bestimmen wird)

Das wäre ein völlig falsches Signal! Gesetze dürfen nicht geändert werden, um Menschen im Nachhinein vor Strafverfolgung zu schützen. Man stelle sich vor: Die Bundesregierung hätte beschlossen, ein Gesetz abzuschaffen, aufgrund dessen Uli Hoeness NICHT ins Gefängnis gemusst hätte. Den Aufschrei in der Republik hätte ich nicht vernehmen wollen. Vollkommen zu Recht!

Ausschlaggebend sollte immer der Zeitpunkt der Tat sein, nicht welche Gesetze zum Zeitpunkt der Prozesseröffnung gelten. Niemand möchte im Umkehrschluss für eine Aktion von 2010 verurteilt werden, nur, weil es 2016 ein neues Gesetz gibt. (Übrigens wird das auch durch einen Artikel 103, diesmal aber im Grundgesetz, verhindert)

Hatte Merkel eine (bessere?) Wahl?

Im Prinzip hat Erdogan die deutsche Regierung in eine Zwickmühle manövriert, was natürlich nicht passieren darf: Entweder wird seinem Begehren stattgegeben, dann kocht der Volkswille. Oder, es wird ihm nicht stattgegeben, dann kann Erdogan sich echauffieren (im Übrigen über etwas, was in der Türkei vermutlich genauso passiert wäre: Über ein Hinwegsetzen von Gesetzen und Verfassungsvorschriften).

Die Bundesregierung und Angela Merkel haben sich aber entschieden, dass man die rechtsstaatlichen Prinzipien nicht auf dem Altar der Stimmungsmache opfert. Eine Entscheidung, die im ersten Moment unverständlich ist und die Regierung Punkte beim Volk kostet, aber genauso unbedingt richtig war.

Damit hat man nicht zuletzt auch Erdogan gezeigt, dass man sich an Recht und Verfassung zu halten hat, auch wenn es vielleicht unbequem ist. Ich zweifle daran, dass diese Lektion bei ihm ankommt, aber deswegen darauf zu verzichten, wäre amoralisch und falsch gewesen.

Ich denke, dass das größte Problem nicht ist, dass die Regierung die Strafverfolgung aufgrund von $103 legitimiert hat, sondern dass es zugunsten von Erdogan erfolgt ist. Hätte Queen Elisabet oder Königin Sylvia auf diesen Paragraphen Bezug genommen, wäre es selbstverständlich gewesen, dass dieser, da vorhanden, zur Anwendung kommt. Denn das Volk liebt Elisabeth & Sylvia. Es mag aber Erdogan nicht. Das kann/soll/darf aber keinesfalls bei der Entscheidung eine Rolle spielen. Denn vor dem Gesetz sind alle gleich. Ein Erdogan hat die gleichen Rechte wie jeder andere auch. Ja, der Paragraph gilt nur für Staatsoberhäupter, aber zu dieser Gruppe gehört Erdogan nun mal. Eine Entscheidung aber davon abhängig zu machen, wer es beantragt, entspricht ebenfalls keinesfalls den rechtsstaatlichen Prinzipien, denen wir uns verschrieben haben. Es mag sich falsch anfühlen, dass wir Erdogans Begehren erfüllen, aber es ist halt das einzig Richtige!

Böhmermann wird sich nun vor Gericht verantworten müssen. Dies ist etwas, womit er gerechnet hat, zumindest hat rechnen müssen. Auch eine andere Entscheidung der Bundesregierung hätte daran nichts geändert, lediglich der in Frage kommende Paragraph wurde dadurch festgelegt. (Nochmal: Die Möglichkeit einer solchen Festlegung hat eigentlich NICHTS in unseren Gesetzen zu suchen!). Alles Weitere ist nun Sache der Gerichte. Was auch vollkommen richtig ist. Ein Richter hat festzustellen, ob Erdogan Geschädigter im Rahmen von §103 ist, anzuwenden ist der Paragraph aber auf jeden Fall.

Jedenfalls ist dies nicht der vielerorts diskutierte Angriff von Merkel auf die Pressefreiheit, auch greift Merkel hier nicht in die Kunstfreiheit ein. Dies werden, wenn, dann die sich damit befassenden Richter machen. DIes häten sie auch getan, wenn §103 nicht zugelassen worden wäre. Denn wegen Beleidigung ist auf jeden Fall Anzeige erstattet worden. Insofern hat Merkel sich diesbezüglich mal so gar nichts vorzuwerfen.

Der einzige Verlierer bei der ganzen Sache ist unterm Strich Erdogan. Dieser hätte Größe beweisen müssen und über allem stehen sollen. Kann er nicht, ist er nicht der Typ für. Lieber bringt er Merkel in diese Lage, sich dessen gewiss, das er sie in eine Zwickmühle manövriert hat. In dieser hat Merkel dann aber alles richtig gemacht. Ich sag das nicht oft, aber: Chapeau, Frau Merkel!

Das natürlich die ganzen „Regimekritiker“ und „Islamophoben“ einen Staatsverrat erster Güte vermuten und Merkel schon den Kniefall vor Erdogan ausführen sehen, verwundert mich nicht. Das aber intelligente Menschen, Künstler und Leute aus meinem Umfeld das teilweise auch so sehen, das erschreckt mich ein wenig!


One Response to Merkel zu Recht unter Beschuss?

  1. Na ja, ich finde den Chapeau etwas übertrieben, denn viel zu entscheiden gab es da meiner Meinung nach nicht. Sie hat sich auf den Grundsatz zurückgezogen. Das ist richtig, keine Frage, aber war auch nicht besonders schwer. Das war meiner Ansicht nach die einzige Entscheidung, die keinen Mut erfordert hat. Und da es eine so grundsätzliche Sache ist, frage ich mich schon, warum das so lange gedauert hat. Ja, es war eine schwierige Situation, aber wenn ich es am Ende eh nach 08/15 entscheide, kann ich es auch nach einem Tag machen, oder nicht? Ne Telefonkonferenz mit 3 Ministern kriegt man da sicher organisiert. Diese Wartezeit hat halt die Diskussion nochmal richtig angeheizt und das ganze schwer politisiert. Das war meiner Ansicht nach ein Fehler, auch wenn das Ergebnis stimmt.

    Zudem hat sie durch ihr vorheriges Verhalten (keine Reaktion zur Einbestellung/prompte Rekation zum Gedicht) natürlich jeglicher Spekulation Nahrung gegeben, was die Wartezeit noch schlimmer gemacht hat.

    Ich hab gestern zufällig die Berichterstattung in „taff“ über Merkels entscheiden sehen müssen. Da wundert einen nichts mehr. Das ist eine Falschdarstellung sondergleichen gewesen. Da wurde ganz klar in die Richtung berichtet als hätte Merkel Böhmermann damit schon verurteilt. Es ist unglaublich, was da angerichtet wird. Da wundert einen nicht mehr, dass Pegida so viel Zulauf bekommt. Hätte die Bild nicht besser machen können.

    Ist die Verbindung von Hoeneß zu Punkt 4 deine Meinung oder nur die von anderen? Ich kenne mich nicht wahnsinnig gut aus, aber ich sehe es fast eher ein Beispiel dafür, dass Punkt 4 zutrifft.