Voll Dampf – Eine Steampunkanthologie

Steampunk ist eine „Geschmacksrichtung“, die an mir ein wenig vorüber gezogen ist, aber ganz offensichtlich in den letzten Jahren viele Freunde gefunden hat. Jedenfalls lassen die häufig anzutreffenden Herren in Zylinder und Damen im Korsett, immer in Verbindung mit viel Messinggedöns, darauf schließen. Ich komme auch nicht drum herum, dem Ganzen eine gewisse Faszination zuzusprechen, ohne jedoch allzu viele Ambitionen in eben jene Richtung zu entwickeln. Sehen wir es mal real: Ich mit Zylinder sehe eher nach Quacksalber, denn nach Gentleman aus. Lassen wir das Thema also.

Nicht das Thema gelassen, sondern, ganz im Gegenteil, sich damit literarisch beschäftigt haben sich 9 Autoren in Form von Kurzgeschichten, welche Ingo Schulze und André Skora als Herausgeber, in Zusammenarbeit mit dem Amrûn Verlag unter dem Namen „Voll Dampf“ veröffentlicht haben. Der bekannteste Autor dieses Nonett dürfte André Wiesler sein, dessen Geschichte einer deutsche Spezialeinheit, die versucht, die Dampfgiganten der Franzosen zu vernichten, auch zu den absoluten Highlights dieser Anthologie gehört. Aber auch die meisten anderen Autoren scheinen ihr Handwerk zu verstehen. Klar, es gibt, das ist wohl eine anerkannte Krankheit bei Anthologien, immer ein oder zwei Ausreißer nach unten, aber ansonsten ist das Niveau der Geschichten erfreulich hoch. Schon der Voll Dampf – Opener “ Valerius von Arbogast und sein fabelhafter Krakun“ kann aufgrund seine thematischen Nähe zu den Geschichten Lovecrafts bei mir unbedingt punkten. Nach dem Genuss dieser Geschichte wurde es mir direkt warm ums Herz.

Leider (so muss ich sagen) wird das Niveau nicht über die gesamte Länge von Voll Dampf gehalten. Schon die zweite Geschichte „Schwarzfall“ findet in meinen Augen kein Gefallen. Nicht, weil sie schlecht wäre, Frank Hebben, der Autor, ist kein Unbekannter und hat zweifelsohne entsprechendes Talent, nein, die Art der Geschichte sagt mir einfach nicht zu. Die nächste Geschichte „Die spektakuläre und heldenmütige Entführung der originalgetreuen Lokomotive Emma“, aus der Feder von Matthias Falke macht das Dilemma deutlich, in dem eine Steampunk-Anthologie automatisch steckt. Steampunk kann vieles sein, jeder Autor hat ganz eigene Vorstellungen seiner Steampunkwelt. Natürlich gibt es gewisse Standards, die eigentlich jeder berücksichtigt, aber es gibt nicht DIE Steampunkwelt. Eine Kurzgeschichte ist aber immer nur ein Ausriss aus einer Welt. Spielen diese Kurzgeschichten in einem gemeinsamen Vorstellungsraum, dann ist man sofort drin und kann sich vieles aus seiner Fantasie zusammen reimen, ist jedoch die Welt allein in der Gedankenwelt des Autors konkretisiert, erhält man nicht viel mehr als Fragmente, die man nur schwer in einen Kontext bringen kann. Lokomotive Emma ist dafür ein sehr passendes Beispiel. Das Universum, in dem die Geschichte spielt, ist dem Leser, zumindest mir, vollkommen unbekannt. Es unterscheidet sich aber, das wird beim Lesen offensichtlich, in wichtigen Punkten von dem, was wir als Realität anerkennen. So vermag es die Geschichte zwar, uns, die wir sie lesen, neugierig zu machen und mit einigen Informationen zu versehen, aber den großen „Klick“ erlebt man nicht, einfach, weil man nicht wirklich weiß, wie dieses Fragment in die Welt einzuordnen ist. Daher kann ich in dem Fall nur hoffen, das Falke seine Vision einer Steampunkwelt noch weiter konkretisieren wird, vielleicht erfährt man irgendwann mehr über Emma und den symbolischen Charakter, den sie zu haben scheint.

Das die Geschichten gut sind, kann man an der Tatsache festmachen, das ich bei einigen der Geschichten wirklich neugierig geworden bin, ob und wie es da weiter gehen kann, ob ich noch weitere Geschichten aus diesem Aspekt des Steampunks werde lesen dürfen.

Das Niveau der Geschichten in Voll Dampf

Keine der Geschichten von Voll Dampf ist ausbordend lang, so dass sich dieses Buch auch ideal als Klo- oder Bettlektüre eignet.  Schulze und Skora hatten bei der Auswahl der Autoren ein glückliches Händchen, es gibt nicht eine Geschichte hier, die man als nicht gelungen bezeichnen könnte. Die zwei, drei Geschichten, die in meinen Augen nicht zu den Highlights zählen, treffen einfach nicht meinen Geschmack, was Geschichten angeht. Anders herum ist es so, das drei oder vier der Geschichten für mich nach einen „Mehr“ schreien. Sollte Voll Dampf fortgesetzt werden, dann vielleicht mit Geschichten, die auf den bisherigen basieren. Das würde meines Vaters Sohn vermutlich ganz gut gefallen.

Jedenfalls hat Voll Dampf es verstanden, mir einige genüssliche Stunden in den Steampunkwelten zu bereiten. Mit 11.90€ für das über 190-seitige Paperback wird auch kein allzu hoher Preis aufgerufen im Gegenteil. Wenn man auch nur einen Hauch von Interesse an Steampunk hat, sollte man Voll Dampf auf jeden Fall eine Chance geben!


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