Strategiespiele in Mittelerde – Die Schlacht auf den Pelennor-Feldern
„Die Welt ist im Wandel, ich spüre es im Wasser, ich spüre es in der Erde, ich rieche es in der Luft. Vieles, was einst war, ist verloren, da niemand mehr lebt, der sich erinnert.“
Glücklicherweise ist es nicht ganz so dramatisch, wie es in Galadriels Prolog zu Peter Jacksons „Der Herr der Ringe“ anklingt. Vergessen war Tolkiens Fantasywelt bei Anhängerinnen und Anhängern von Tabletop-Strategiespielen nie wirklich. Und doch dürfte die Neuauflage des Tabletop-Klassikers im Herr-der-Ringe-Universum vielerorts für hochgezogene Augenbrauen sorgen. Galt doch das Spielsystem aus dem Hause Games Workshop für tot und so gut wie spielerlos. Dass dem nicht so war, dürfte mit dem neuen Starterset den Wieder- und Neueinsteigern zugutekommen, auf die nun eine deutschlandweit gut organisierte Hobby- und Hobbitszene wartet.
Alles begann mit dem Schmieden der großen Ringe… im Jahr 2001
Aber worum geht es eigentlich? Das Gesellschaftsspiel mit dem etwas sperrigen Namen „Middle-earth-Tabletop-Strategiespiel“ lässt zwei Parteien Geplänkel, Gefechte und veritable Schlachten in Tolkiens Fantasywelt bestreiten. Wie es für Tabletop-Systeme üblich ist, übernimmt man die Kontrolle über Helden, Krieger, Monster und Belagerungsmaschinen, die durch Modelle im 28mm Maßstab dargestellt werden. Ein Regelwerk gibt vor, wie die Spieler ihre Modelle bewegen können, wie die Modelle miteinander interagieren und ihre Gegner bekämpfen. Und das tun sie bereits seit dem Jahr 2001, als das erste Regelwerk zum Spiel, ausgerüstet mit der mächtigen Filmlizenz der zeitgleich anlaufenden Filmtrilogie, erschienen ist.
Es ist also eine Tradition, lang wie ein stolzer Zwergenbart, in der die Neuauflage des Mittelerde-Strategiespiels steht. Sie kommt einher mit einem Starterset inklusive einem neuen Regelwerk in Begleitung eines zeitgleich erscheinenden, separaten Armeebuchs. Was bietet sie?
Eine unerwartete Starterbox: Die Schlacht auf den Pelennor-Feldern
Den Kern bilden die Modelle aus Plastik, von denen es nicht weniger als 84 in die Box geschafft haben. Beim Auspacken der fünfzehn Gussrahmen sollte man übrigens hohe Vorsicht walten lassen. Sonst heißt es in bester Rohan-Manier: Speer wird zerschellen, Schild zersplittern! GW hat hier ein pralles Bündel geschnürt, das Neueinsteigern eine hohe Ersparnis gegenüber den üblichen Preisen bietet. Denn beinahe alle Modelle und Kriegertrupps konnte man bisher auch separat erstehen.
Lediglich bei den beiden Modellen von König Theoden (einmal hoch zu Ross, einmal zu Fuß), dem Anführer der Streitkräfte des Guten in diesem Set, handelt es sich um komplett neue Figuren, die exklusiv in diesem Set enthalten sind. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, denn es haben auch echte Klassiker-Modelle wie der Mordor-Troll und der Hexenkönig auf seiner geflügelten Schattenbestie als Centrepieces der bösen Seite in die Box geschafft. Die Krieger der Toten auf der guten Seite gehören zu den charaktervollsten Plastikmodellen der Herr der Ringe-Range. Die 36 „Morannonorks“ sind hingegen zumindest ein solider Standard, mit Ausreißern nach oben und nach unten.
Doch kann man sich durchaus die Frage stellen, ob es tatsächlich nötig war, mit den Reitern von Rohan und den entsprechenden Fußtruppen, dem neuen Starterset Plastikmodelle beizugeben, die in dieser Form schon im Jahr 2002 (!) erschienen sind. Natürlich handelt es sich auch bei diesen Minis gewissermaßen um klassische Figuren des Systems, noch geknetet und entworfen von den legendären Gebrüdern Alan und Michael Perry. Doch welche Fortschritte Games Workshop in Fragen der Gusstechnik, Detailgrad und Miniaturendesign in den vergangenen 16 Jahren gemacht haben, wird gerade am neuen Theoden-Modell nur zu deutlich.
Spielspaß und Freude bei der malerischen Gestaltung der antiken, aber trotzdem scharf gegossenen Minis ist natürlich dennoch nicht ausgeschlossen. Letzten Endes ist es auch eine Frage des persönlichen Geschmacks.
Nach persönlichem Gusto können übrigens auch einige der größeren Modelle zusammengebaut werden. Da die Figuren des Startersets den bereits verkäuflichen Gussrahmen entsprechen, hat der Troll zahlreiche optische sowie Ausrüstungsoptionen. Er kann unter anderem mit gewaltigen Kesseltrommeln oder gar als ein Isengard-Troll im Dienste Sarumans ausgestattet werden. Und wer bereits einen Hexenkönig auf geflügelter Bestie besitzt, wird hier trotzdem glücklich werden. Das Modell lässt sich auch als ein normaler Ringgeist zusammenkleben.
Kleine Abzüge in der B-Note
Wird das Starterset „Die Schlacht auf den Pelennor-Feldern“ seinem Titel gerecht und bietet es alles zum anfangen? Grundsätzlich schon, Kennern des Systems fallen allerdings empfindliche Lücken in der ansonsten sehr großzügigen Ausstattung auf. Neben dem vollwertigen Hardcover-Regelbuch liegt dem Starterset auch ein 18-seitiges Heftchen mit Szenarien und Profilen bei. Über vier Szenarien verteilt lässt sich ein Teil der spektakulären Schlacht auf den Pelennorfeldern vor den Mauern Minas Tiriths nachspielen. Hierbei führt ein Spieler die Truppen des Guten unter Führung des Königs von Rohan in die Schlacht. Der zweite Spieler steuert die Legionen Mordors unter dem Kommando des Königs der Ringgeistert. Diese Szenarien sind zwar keine reinen Kennenlern-Spiele, können aber durchaus dafür benutzt werden.
Sobald allerdings dieser erzählerische Rahmen der Szenarien verlassen wird, fehlen Figuren und Informationen, um ein ausgewogenes Spiel gegen neue Mitspieler zu absolvieren. Dabei werden andere Vorgehensweisen beim Armeeaufbau angewendet und den beiden Starterarmeen mangelt es an Heldenmodellen, um eine entsprechende Zahl an Kriegern anzuführen. Könnten solchen Problemen noch mit einer Anpassung der Spielgröße fürs erste ausgewichen werden, wiegt es schwerer, dass im Gegensatz zu Theoden, der Hexenkönig von Angmar nicht auch ein entsprechendes Modell zu Fuß beigegeben wurde. Wird der Ringgeist also einmal von seinem gefährlichen Reittier getrennt, fehlt eine entsprechende Miniatur. Fürs erste ist also Improvisationstalent gefragt. Aber vielleicht hat man als Sammler ja noch eine entsprechende Figur auf dem Dachboden herumliegen…
Die Regeln
Fans des Skirmisher-Spiels dürfen aufatmen und sich freuen. Es sind vor allem kleinere Regeländerungen gegenüber dem bisher gültigen Regelwerk, mehr Evolution statt Revolution. Gerüchten, wonach das Mittelerde-Strategiespiel einen ähnlich gravierenden Einschnitt wie einst Warhammer Fantasy mit dem „Age of Sigmar“ erfahren würde, wurde früh durch die Spieledesigner in Gesprächen mit der Spielergemeinschaft entgegengetreten. Überhaupt wurzeln viele der Änderungen in genauer Kenntnis der derzeitigen (britischen) Turnierspielerszene: Vielen neuen oder veränderten Passagen merkt man an, dass die Designer ein gutes Gespür dafür entwickelt haben, wie und was gegenwärtig auf Sieg gespielt wird, aber was für eine Art Spiel sich die meisten Fans eigentlich wünschen: Denn der Reiz Mittelerde besteht für viele in den mächtigen Helden wie Aragorn, Theoden und eindrucksvollen Kreaturen wie dem Balrog und den Mûmaks genannten, turmhohen Kriegselefanten.
Und doch waren es zuletzt eher die unbekannt(er)en Charaktere der zweiten und dritten Reihe, die in einem wettbewerbsorientierten Spiel den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachten, während besonders starke Figuren mit ein paar magischen Tricks ausgeschaltet oder unbrauchbar gemacht werden konnten. Die wesentlichen Unterschiede zur vorherigen Regelauflagen betreffen daher die Felder Magie, Helden, Armeeaufbau und Thematik. Es wurde also eher am Balancing geschraubt, anstatt bewährte Spielmechanismen zu überholen.
Wie geht es nach „Die Schlacht auf den Pelennor-Feldern“ weiter?
Das zeitgleich erschienene Armeebuch bietet Überarbeitungen sämtlicher Profile der Herr der Ringe Figuren. Ein entsprechendes zweites Buch für die Figuren aus Games Workshops Hobbit-Reihe erscheint im Oktober diesen Jahres. Allerdings stellt Games Workshop bereits jetzt ein PDF gratis zur Verfügung. Damit werden bis dahin Armeen von der Hobbit mit den neuen Regeln spielbar gehalten. Aber Achtung: Die bereits angekündigten neuen Figuren und Charaktere für der Herr der Ringe sind noch nicht enthalten. Neue Profile werden künftig online veröffentlicht. Von einem toten System kann also keine Rede sein!
Die Rückkehr des Königs
Middle-earth Tabletop bleibt auch in der neuesten Ausgabe ein ausgewogenes, atmosphärisches Spiel in einer der beliebtesten und einflussreichsten Fantasywelten in der Geschichte der Populärkultur. Es kombiniert viele Vorzüge aus der mittlerweile 17 Jahre alten Geschichte des Spiels und ist immer noch „easy to learn, hard to master“. Die Ergänzungen zu den bisherigen Regeln passen sich sehr organisch dem gewohnten Spielgefühl an, beispielsweise machen die neuen Warhammer-typischen Keywords in den Profilen die Auslegung von Regeln nachvollziehbarer. Was zudem ausdrücklich hervorgehoben werden muss: Modelle, die zu Beginn des Spiels ab 2001 erschienen sind – sei es über die damaligen Figurensets oder die alte De Agostini-Reihe – sind immer noch einsetzbar. Die Basisregeln sind bis heute gleich geblieben.
Da das Regelbuch auch einzeln verkauft wird, dürfen auch die Herr der Ringe-Veteranen einen Blick riskieren, die bereits umfangreiche Armeen der beinhalteten Fraktionen besitzen. Ansonsten ist das Starterset „Die Schlacht auf den Pelennor-Feldern“ aber eine klare Empfehlung an alle, die etwas mit Tabletop und der Welt von Mittelerde anfangen können: Zieht man die Kosten von 45 Euro für das deutschsprachige Hardcover-Regelbuch ab (Buchpreisbindung!), erhält man für 75 Euro Miniaturen und Tabletop-Zubehör (Würfel, Maßstäbe) die einzeln auf einen Gesamtpreis von über 250 Euro kommen würden. Bei dieser Ersparnis sollten sich auch einzelne Wermutstropfen, wie die für eine vollständige Armee benötigten Zusatzkäufe von Einzelmodellen verkraften lassen. Lasst uns Orks jagen!
Tobias